Körper contra Geist - ein Spannungsfeld der Menschheitsgeschichte

2. Relevanz in unserer Gesellschaft

Ist nun die bewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper und seiner Ausdrucksfähigkeit ein Thema, welches in unserer Gesellschaft ein Problem darstellt und somit angegangen werden müsste, oder besteht hier kein Handlungsbedarf? Um uns einer Beantwortung zu nähern, ist es in einem ersten Schritt zunächst erforderlich, etwas detaillierter als eingangs zu klären, ob der Mensch überhaupt einer harmonischen Einheit von Körper und Geist bedarf. In einem zweiten Schritt im dritten Teil der Arbeit wollen wir untersuchen, inwiefern die vorhandenen Institutionen, insbesondere das Krankenhaus, in unserer Gesellschaft diesem vermuteten Bedürfnis des Menschen ausreichend Rechnung tragen.





2.1 Wieviel Körper brauche ich für meine harmonische Einheit?

Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er vom Teufel versucht würde. Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich das diese Steine Brot werden. Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben: “Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.” (...)

Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben wenn du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben: “Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.” Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.”

Wer seine innere Einheit findet dem dienen die Engel









„Der Mensch ist das missing link zwischen Affe und Mensch“ (Hoimar v. Ditfurth)











Auch in unserer in den Märchen tradierten Mythologie stellt Initiation den „wilden Mann“ (die Triebe) in den Dienst eines glücklichen Seins.

Der Evangelist Matthäus erzählt hier, wie Jesus durch vierzigtägiges Fasten einen körperlichen Grenzzustand erlangt. Dieser ermöglicht es ihm, seine inneren Versuchungen zu ergründen und ihnen zu widerstehen. Durch den immateriellen Geist in die Wüste geführt, schafft es Jesus unter Verzicht auf Nährung seines Körpers, sich Klarheit über die geistigen Ziele seines Lebens zu verschaffen. Er definiert für sich durch die Ablehnung der Negativversuchung seinen positiven Lebensweg. Um diesen gehen zu können, bedarf er dann wieder der Materie seines Körpers. Nachdem Jesus unter Ausschaltung der körperlichen Bedürfnisse seine geistige Identität gefunden hat, bedarf er nun wieder der Materie um diese Identität auch leben, verkörpern zu können. Diese Klarheit über seine Ziele, die hier erfolgte Definition von richtig und falsch in seinem Leben, bewirkt das Hinzutreten von Engeln, die ihm dienen und damit eine starke Festigung seiner Person.
Diese Geschichte in der Bibel ist auch eine Geschichte der menschlichen Initiation, wie sie von allen Völkern und Kulturen seit jeher in den verschiedenen Traditionen gelebt wird. In unserem Kulturkreis erzählen insbesondere die Märchen von Frauen und Männern, die sich aufmachen ihren individuellen Lebensweg zu finden. Sie sind nicht festgelegt auf ausschließlich körperlich triebhaftes oder geistiges Sein (Das menschliche Hirn ist das bisherige Ergebnis einer langen Evolution, es enthält als Stamm z.B. ein “Reptiliengehirn” um das dann im Laufe der Jahrmillionen sich auf evolutionären Druck hin die anderen Bereiche angegliedert haben, bis hin zum Neokortex, der Hirnrinde, dem neuesten Gehirnteil. Auch unsere Individualentwicklung im Mutterleib zeigt die Entwicklung aus dem Tierischen heraus als Abbild unserer gesamten Stammesentwicklung, über Kiemenatmung usw.) Diese Offenheit in alle Richtungen ist nicht nur Aufgabe sondern auch Chance den eigenen individuellen Weg auch wirklich zu finden.

Exemplarisch sei hier auf das Märchen vom Eisenhans der Gebrüder Grimm hingewiesen, welches von Robert Bly im gleichnamigen Buch als besonders aussagekräftig insbesondere für das Erwachsenwerden des Mannes interpretiert wird: Der Jüngling verliert seine Kindheit und Unschuldan den “wilden Mann”, den Eisenhans, in Form eines goldenen Balls. Der wilde Mann symbolisiert die Körperlichkeit des Heranwachsenden. Erst an dem Tag, an dem es dem Jungen gelingt mit seiner Körperlichkeit Frieden zu schließen, sie in sein Leben mit all ihrer Macht zu integrieren, sie in den Dienst seiner eigenen Ziele zu stellen, erlangt er die Persönlichkeit, welche es ihm ermöglicht “König” zu sein, ein selbstbestimmtes, freies Leben zu führen.




Heute beschreibt die Psychologie die Notwendigkeit für jeden Mensche Körper und Geist bewusst zu entwickeln.
















Nur eine Einheit aus Emotion und Ratio kann das ermöglichen, was wir eine vernünftige Entscheidung nennen

Das Märchen endet mit den Worten: “ich bin der Eisenhans und war in einen wilden Mann verwünscht, aber du hast mich erlöst. Alle Schätze, die ich besitze, die sollen dein Eigentum sein.” Damit hat das Triebhafte, die Körperlichkeit ihren Schrecken verloren. Der Mensch ist ihr nicht länger ausgeliefert, sondern kann im Gegenteil ihre emotionale Energie nutzen, um seine geistigen Ziele und Ideen in unserer materiellen Welt umzusetzen. Wie Jesus bei der Versuchung, so widersteht auch im Märchen der Mensch dem vermeintlich leichten Weg seinen Trieben einfach nachzugeben. Er schafft es stattdessen, Macht über sie zu erlangen und sie in seinen Dienst zu stellen. Diese offensichtlich bereits seit Ur – Zeiten ( das Märchen vom Eisenhans wird auf ein Alter von ca. 10 000 Jahren geschätzt ) bekannten Knackpunkte im Erwachsen werden des Menschen nimmt auch die Psychoanalyse von Sigmund Freud auf. Hier muss der Mensch es leisten sein Es, Ich und Über – Ich in ein harmonisches Ganzes zu integrieren, um zu einem glücklichen Leben befähigt zu sein.Auch die weiterführenden Theorien z. B. des Freud – Schülers Erikson basieren auf dem Abschließen verschiedener Lebensphasen. Er stellt fest, daß in jedem Lebensabschnitt Kompetenzen erlangt werden müssen, die notwendig sind, um die nächste Seinsstufe zu erreichen. Insbesondere der Frieden mit den körperlichen Bedürfnissen ist Grundvoraussetzung für persönliches Wachstum.




2.2 Verbindung zwischen Emotionen und Körperlichkeit


Weiterentwickelt finden wir diese Ideen bei Daniel Goleman. Er prägt den Begriff der “Emotionalen Intelligenz”. Sein gleichnamiges Buch beschreibt die Notwendigkeit des Bewussten Ichs Emotionen wahrzunehmen und adäquat auf sie zu reagieren. Unter anderem stehen hier die “Achtsamkeit” und die “Angemessenheit” im Vordergrund des eigenen Umgangs mit Gefühlen: “Der Schlüssel zu vernünftigeren persönlichen Entscheidungen ist, kurz gesagt auf unsere Gefühle zu achten.”Das Ziel ist Ausgeglichenheit, nicht Unterdrückung der Gefühle: Jedes Gefühl hat seinen Wert und seine Bedeutung. Ein Leben ohne Leidenschaft wäre eine öde Wüste der Gleichgültigkeit ... Gewünscht ist, wie Aristoteles bemerkte, die angemessene Emotion.” (Daniel Goleman “Emotionale Intelligenz, S. 76 / S.79)




Gefühle sind höchst virulent; eine Infizierung des Gegenübers erfolgt durch blosses hinsehen.













Jeder Mensch setzt letztendlich das „wieviel“ an Körper selbst fest. Glücklich ist, wer dies in Einklang mit seinen Ideen tut.

Die Emotionen stellen die Signale unseres Körpers und unserer Seele dar. Es ist somit nicht nur wichtig, was wir rational über eine Sache Denken, sondern auch, wie wir sie mit unserem gesamten Sein emotional bewerten. Nur eine Einheit aus Ratio und Emotion ist in der Lage einerseits Prioritäten zu setzen und Sachverhalte subjektiv richtig zu beurteilen und andererseits Emotionen angemessen einzuordnen ohne sich übermannen zu lassen. Hierbei gibt es keine objektive Wahrheit. Jeder Mensch muß die für ihn richtigen Entscheidungen selber herausfinden. Dazu gehört auch die Wahrnehmung und Einordnung der eigenen Gefühle und damit der Belange des Körpers. Das Fallbeispiel eines Mannes, dem bei einer Gehirntumoroperation ein Teil des Präfrontallappens (verantwortlich u.a. für das Bewußtwerden von Emotionen; s. R. Ornstein / R. F. Thompson “Unser Gehirn: das lebendige Labyrinth” S. 19 ) entfernt worden war, zeigt dies ganz deutlich: “Er begann wie ein Computer zu denken, konnte in einem Entscheidungskalkül jeden einzelnen Schritt vollziehen, war aber außerstande den differierenden Möglichkeiten Werte zuzuweisen. ... Seine logischen Überlegungen wurden falsch, weil er zu wenig beachtete, was die Dinge für ihn selbst bedeuteten.” Die Bedeutung der Körperlichkeit für unsere Empfindungen und damit für unser Wohlbefinden wird in einem weiteren Phänomen besonders deutlich: Der Synchronisation. Unter dieser versteht man die non - verbale Übertragung von Gefühlen auf einen Gegenüber lediglich durch körperliche Signale. “John Cacioppo, der Sozial – Psychophysiologe an der Universität des Staates Ohio, der diesen subtilen Austausch von Emotionen erforscht hat, schreibt dazu: “Es genügt bei jemanden den Ausdruck einer Emotion zu beobachten, um in uns selbst diese Stimmung hervorzurufen, auch wenn wir gar nicht merken, daß wir den Gesichtsausdruck nachahmen. Das passiert ständig.” ( D. Goleman, Emotionale Intelligenz, S.151). Der persönliche Ausdruck bestimmt somit entscheidend mit, ob eine Interaktion geklappt hat. Dieser körperliche Ausdruck ist natürlich auch trainierbar. Unser bewusster, individueller Umgang mit dem Körper hat folglich entscheidenden Einfluss auf unsere soziale Stellung. Er ist so etwas wie eine Visitenkarte, die unsere inneren Einstellungen verkörpert und auch umsetzt. Das nun jeder Mensch hier seine eigenen Präferenzen setzt, liegt an einer Wechselwirkung zwischen individuellen Voraussetzungen (Anlage) und Werdegang (Umwelt). Bekanntermaßen ist nicht jeder Mensch zu jeder Tätigkeit gleichermaßen veranlagt. Um sich seinem Geist und seinen Ideen gemäß auch körperlich zu definieren, ist es wie oben geschildert, zunächst notwendig sein Selbst zu ergründen.











Psychosomatische Erkrankungen - verdrängte Emotionen definieren auf ihre Art den Körper


Suchterkrankungen sind ein Zeichen von Orientierungslosigkeit in einer komplexer werdenden Welt.





Das Nervensystem ist mit dem Immunsystem gekoppelt, so daß Stress, negative Emotionen mitverantwortlich für Erkrankungen und deren Verlauf sind.



2.3 Unausgeglichenheit – ein Problem von gesellschaftlicher Relevanz?


Welche Konsequenzen hat es aber für ein Menschenleben, wenn dies nicht gelingt? Die Beschreibungen reichen in Golemans Buch vom ständig unzufriedenen bis hin zum Psychopathen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die psychosomatische Medizin. Sie “befasst sich mit dem Einfluß der Wechselwirkung von Körper, Seele, und sozialer Umwelt auf Erkrankungen.” ( H. Netolitzky u. P.L. Jansen in “Neurologie und Psychiatrie” in Frage und Antwort, S. 200 ). Als psychsomatisch werden Krankheiten definiert, welche hauptsächlich durch psychische Faktoren entstehen also z.B. durch unverarbeitete Konflikte, welche nicht aus reichend in das Bewusstsein gelangen um verarbeitet werden zu können und dann auf körperlicher Ebene somatisiert werden. Zu diesen Erkrankungen gehören typischerweise Eßstörungen, Bronchialasthma, Herz – Kreislauferkrankungen, Magen und Darmgeschwüre, Sexualstörungen, Hauterkrankungen, Suchterkrankungen ... . Vor dem Hintergrund, daß 12 – 26 % der bundesdeutschen Bevölkerung unter Neurosen leiden, 5 % alkoholabhängig sind (Gesundheit – Psychologie.de) sowie die Zahl der Patienten mit Beschwerden ohne organischen Hintergrund mit 20 – 30 % angegeben werden ( Schettler / Greten, Innere Medizin Band 1, S. 196 ), unterstreicht beispielhaft das enorme Gewicht, welches derlei Erkrankungen in unserer Gesellschaft zukommt. Von höchstem Interesse ist in diesem Zusammenhang eine Entdeckung, die Robert Ader 1974 machte: Das Immunsystem ist in der Lage zu lernen, da es, wie Felten herausfand, über synapsenartige Kontakte mit dem Nervensystem durch Lymphozyten und Makrophagen verbunden ist. ( s. Goleman; Emotionale Intelligenz (E.I.), S. 212 ff ). Dadurch ist es erklärbar, daß Emotionen auf unseren Gesundheitszustand durch das Immunsystem einen starken Einfluss besitzen, wie in zahlreichen Experimenten nachgewiesen wurde: “In Stanford nahm eine Gruppe von Infarktpatienten an einem Programm teil, das ihnen helfen sollte, jene Einstellungen zu verändern, die sie leicht aufbrausen ließen. Nachdem sie gelernt hatten ihren Zorn zu beherrschen, war die Zahl der zweiten Infarkte bei dieser Gruppe um 44 % geringer als bei anderen, die nichts gegen ihre Feindseligkeit getan hatten.”

Der Krankenhausbetrieb hat sich den neuen vorherrschenden Erkrankungsbildern baulich und organisatorisch noch nicht angepasst.

(Goleman, E.I., S. 219). Auch das Gesundheitsbundesamt erkennt, daß die Therapie in Zukunft “verstärkt Information, Betreuung und Rehabilitation” ins Zentrum ihrer Bemühungen stellen muss, um diese im Patienten verborgenen Ressourcen zu mobilisieren. Dies auch deswegen, weil Menschen, die ihre Einflussmöglichkeiten auf die eigene Gesundheit als hoch bewerten, nur ca. halb so oft medizinisch auffällig werden, wie Menschen, die wenig Einflussmöglichkeiten sehen. Zudem haben sich die Krankheitsbilder in der bundesdeutschen Bevölkerung verschoben: Standen ehedem tödliche Infektionskrankheiten im Vordergrund der klinischen Therapie so sind es nun verstärkt chronische und degenerative Leiden (gba-bund.de). Deren Behandlung ist nur in enger Zusammenarbeit mit dem Patienten wirklich erfolgversprechend. Der Krankenhausbetrieb hat sich dieser neuen Entwicklung noch nicht angepasst. Er ist baulich / organisatorisch noch auf die akute Infektionskrankheit ausgerichtet. (s. auch unten “Zehn Thesen zum Krankenhaus) Der heilenden Kraft positiver Emotionen kommt ebenfalls eine große Bedeutung zu. So war bei 122 Männern nach ihrem ersten Herzinfarkt ihr Grad an Pessimismus oder Optimismus ein besserer Vorhersagemaßstab für ihr Überleben als alle medizinischen Risikofaktoren, darunter das Ausmaß der Herzschädigung und der Arterienverstopfung, die Cholesterinwerte und der Blutdruck. (Goleman, E.I., S. 225)